Juni / Juli 2022

 

 


Finissage: Sonntag,10. Juli 2022, 15.00 bis 18.00 Uhr

 

OLGA HOLZSCHUH
hold on

Von der Straße durch eine dunkle Einfahrt, in einen schattigen Hof, eine Treppe hoch, um die Ecke, durch die Tür. Fast drei Meter hohe, schimmernde Aluminium-Objekte versperren den Weg. Sie lehnen aufrecht an der Wand links, sind gerundet, laufen schmal nach unten zu. Grün-blaue Stoffbahnen umspülen die Skulpturen aus dünnem Metall, laufen auf dem Holzboden aus. Olga Holzschuhs Installation saugt still das Licht auf, das schräg in den Hof fällt. Die Aluminium-Skulpturen erinnern an übergroße Körperteile: leere Hüllen, Insektenpanzer, Fingernägel, an Arme und an gerundete Schultern. Der Stoff ist nicht Display, sondern selbst vage Skulptur, Teil eines Gefüges. Teilweise wird er von den an die Wand lehnenden Skulpturen gehalten, gleichzeitig stehen diese auf ihm – nur auf einem Punkt, auf ihren Spitzen. Ehemals grün, verändert sich der Stoff in diffusen Mustern zu Dunkelblau. Als riesige Cyanotypie bildet er photoreaktiv die Lichtsituation(en) im Raum ab.
Man könnte Olga Holzschuhs Installation surreal nennen. Man sollte den Realitätsbezug ihrer Praxis jedoch nicht vernachlässigen: Holzschuh begann ihre Arbeit in der Fotografie. Noch heute sammelt sie indexikalisch, nur in unterschiedlichen Techniken. Sie sammelt Abdrücke und Spuren von Posen und Haltungen des menschlichen Körpers. Mit Ellenbogen, Nacken und Schultern fokussiert sie insbesondere seine Halt gebenden Strukturen. In vorherigen Arbeiten hat sie ihre eigenen Körperteile und die von anderen Personen fotografiert, abgeformt oder repetitiv nachgezeichnet. Ihre Serien von ausschnitthaft gezeigten Gelenken und Knochen ähneln Studien. Mit dem Körper bewegen wir uns durch die Welt, nehmen wir die Umwelt wahr und wir reagieren mit ihm auf sie, fast „seismografisch“ mit Verspannungen, flexibler Gelöstheit, einer offenen Haltung oder gekrümmter Abwehr. Holzschuh geht es in ihren Studien weniger um individuelle Aspekte. Sie untersucht die psychischen Zustände und mentalen Haltungen, die sich in verschiedenen Körperhaltungen ausdrücken. Seit 1981 wird in der Moltkerei-Werkstatt ¹ unabgeschlossene, prozesshafte Kunst präsentiert, lange Zeit stand sie speziell für in der Kunst der 1970er Jahre verwurzelte Performances und installative Skulpturen. Körper, Beobachtung und das Kollektive treffen sich hier traditionell. Holzschuhs quasi-phänomenologischen Ordnungen deuten nun auf den Körper in der Gegenwart: als physisches Kraftfeld genauso wie als Zeichen. Ihre „gekrümmte Nacken“ und „kalte Schultern“ verweisen auf die signalgebende Funktion des Körpers im Sozialen und auch seine bedeutende Rolle in online zirkulierenden Fotografien. Der Körper ist heute mehr denn je unter ständiger Beobachtung. Gerade in Zeiten der Instabilität und der Krise zeigt er sich als physischer Kristallisationspunkt von gesellschaftlichen Kräften – von Normierung, Sexualisierung, Fetischisierung, Ausbeutung oder (Selbst-) Optimierung.
Die Skulpturen, die viel größer sind als sie selbst, hat Olga Holzschuh mit ihrer eigenen Körperkraft von innen heraus in Form gehauen. Dabei kam sie Kontakt mit ihren eigenen körperlichen Grenzen. Sie hat ihren Körper in den Skulpturen abgedrückt und ihnen damit doch eine sehr persönliche Dimension hinzugefügt. Die Schulter in ihrem oberen Teil ist dagegen abstrahiert, wirkt in ihrem aufgeblasenen Maßstab und der unebenen Oberflächenstruktur monströs. Wie Meerestier-Schalen verbergen die Objekte ihr Inneres von den Betrachter*innen. Durch ihre sich nach unten hin verjüngende Form wirken die Skulpturen gleichzeitig wie stehende Figuren – klassische Skulpturen. Sie verhalten sich ähnlich nah wie gleichzeitig entfremdet zum Menschen wie Isa Genzkens „Hyperbolos“. Seit 1982 legte Genzken sie nicht mehr auf den Boden, sondern lehnte sie an die Wand und ließ sie so noch mehr als zuvor zu Personen werden.
Keine von Holzschuhs Figuren steht für sich. Zusammen mit den rhythmisch gesetzten, technisch-glatten Stützen und dem Canvas bilden die stehenden Skulpturen ein fragiles statisches System. Fällt ein Element weg, bricht dieses System in sich zusammen. Die Schwerkraft, die an allen Arten von Körpern zehrt, wird sichtbar. Für die Philosophin und Aktivistin Simone Weil ist das Leben primär von Licht und Schwerkraft bestimmt: „Two forces rule the universe: light and gravity.“ ² Leben ist gemäß ihrer Aphorismen stetiges gegen die Schwerkraft an-arbeiten; es folgt feinen Mechaniken, verläuft in Amplituden und befindet sich in stetiger Veränderung. Welche Strukturen und Kräfte halten uns? Was bringt sie zum wanken? Und an welchen Situationen, Ko-Existenzen und Praktiken halten wir uns selbst fest?
In ihrem Werk „Formless“ beschreibt Rosalind Krauss das Herstellen von monströsen, unheimlichen Bildern als Schutz-Strategie: „To produce the image of what one fears, in order to protect oneself from what one fears – this is the strategic achievement of anxiety, which arms the subject, in advance, against the onslaught of trauma, the blow that takes one by surprise.“³ In dem Tableau, was Holzschuhs Installation kreiert, entsteht noch ein weiteres Bild, als Abdruck in dem photoreaktiven Stoff. Wo Licht einwirkt, wird der Stoff Dunkelblau. Die Schatten und Reflexionen der Skulpturen, das Licht hinterlassen Spuren im Stoff. Belichtete und verschattete Partien vermischen sich mit den tatsächlichen Schatten der Stofffaltungen. Die Ausstellungsdauer ist die Belichtungszeit. Warten auf ein unsicheres Bild. Was danach passiert ist Olga Holzschuhs Entscheidung: Sie kann den Vorgang anhalten, die „Abdrücke“ im Stoff festhalten, indem sie die Chemie mit Wasser auswäscht. Oder sie kann die in der Installation entstandenen Spuren ganz dem Licht aussetzen – diese im Dunkelblau verschwinden lassen.
Juliane Duft

 

1 Die in einem Kölner Hinterhof gelegene Moltkerei-Werkstatt ist immer Werkstatt geblieben. Seit 1989 ist sie Ort für prozessuale Kunst ausgehend vom körperlicher Erfahrung, in Nachfolge von Happening und Fluxus. Künstler*innen wie Marina Abramovic und Ulay, Terry Fox und Peter Weibel haben hier ausgestellt. „Künstler lebten und arbeiteten einige Wochen oder Tage in dem Raum an der Moltkestraße und entwickelten am Ort eine Kunst in Verwandlung,“ beschreibt Jürgen Kisters die ortspezifische Praxis, „(…) so demonstriert ein Sprung von der Treppe in die Garagentiefe im Hof der Moltkerei-Werkstatt das Konzept eines erweiterten Kunst begriffs, der den Prozeß (sic!) über das fertige Kunstwerk stellt.“ S. Jürgen Kisters: Die Kölner Moltkerei-Werkstatt, in: Kunstforum, Bd. 117, 1992.

2 Simone Weil: Gravity and Grace (1952), London 2002, S. 1.

3 Rosalind Krauss: Uncanny, in: Yve-Alain Bois, Rosalind Krauss: Formless: A User’s Guide, New York 1997, S. 192–197, hier S. 196.

 

Grafik Design: Timo Wissemborski

 

Juli 2022

Hildegard Weber

Videoinstallation "Silber-Blick"

Donnerstag, 28.07.2022, 18.00 bis 21.00 Uhr

 

August 2022

Rolf Steiner Lesung

Donnerstag, 11.08.2022, 18.00 bis 21.00 Uhr

IM KNOPFLADEN
Eine Valentinade

SCHLEICH DI
Erinnerungen an Herbert Achternbusch

KNOPF UND KNOPFLOCH
Zwölf Zeichnungen

Vorstellung des Künstlerbuches
Im Knopfladen – Eine Valentinade in Zeiten von Corona
Musikalisch begleitete Lesung
Aktion „Fallhöhe halber Meter“

Silvester 2020. Karl Valentin betritt den Schneidereibedarfsladen im ORAG-Haus in München, um Knöpfe, nicht für seine Jacke sondern für seine Hosentasche, zu kaufen. Es gibt den italienischen Brauch, dass, wenn man beim Jahreswechsel Linsen in der Tasche hat, diese im neuen Jahr mit Geld gefüllt sein wird. Was die Linsen für die Italiener, sind die Knöpfe für Karl Valentin. Und es funktioniert, er hat das schon einige Silvester, genau genommen seit er 1948 gestorben ist, ausprobiert. Seitdem lebt er im Fegefeuer, darf aber an Silvester für ein paar Stunden an die Oberfläche, um Knöpfe zu kaufen. Dieses Jahr ist wegen der Corona Pandemie alles anders. Natürlich weiß Valentin von nichts und hat keine Maske dabei, als er den Laden betritt, geschweige denn einen Gewerbeschein, außerdem hat er vergessen, wie seine Jackenknöpfe ausgesehen haben – der Brauch schreibt vor, dass stets die gleichen zu verwenden seien – und so kommt es während einer langwierigen und aberwitzigen Knopfsuche zu vielen Verwicklungen und Scharmützeln mit der Verkäuferin des Schneidereibedarfsladens, die Valentin immer wieder dazu auffordert, die AHA-Regeln einzuhalten und ihm die Tür weist, wenn Kunden im Laden sind, die aber auch nicht ganz unempfänglich ist für seine 'Valentinaden'. Später betritt Herbert Achternbusch den Laden mit einem besonderen Anliegen, dass aus seinen Lutschsteinen (Isarkiesel) Knöpfe gemacht werden. Er macht der Verkäuferin, die für seine Avancen nicht unempfindlich ist, schöne Augen und je weiter das Stück voranschreitet, desto eindeutiger wird ihr Flirt. Gleichzeitig verhilft Achternbusch Valentin, zu dessen Nachfolger ihn die Öffentlichkeit ja immer wieder einmal gekürt hat, zu seinen Knöpfen. Gemeinsam beklagen sie die Ignoranz der Öffentlichkeit, was ihr Werk anbelangt. Zum Schluss verlassen sie zusammen den Knopfladen und gehen in Valentins 'Musäum' im Isartor, um den beiden Wirtinnen ihre Aufwartung zu machen. Die sind nämlich soeben in den Hungerstreik getreten, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, jene Teile des Valentin' schen Nachlasses, die in den 50er Jahren nach Köln verkauft worden sind, zurück nach München zu bringen.

Eine Veranstaltung im Rahmen des Sonderprogramms Aufgeschlagen! des Landes Nordrhein-Westfalen

 

 

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